Über das beidäugige Sehen; von Thomas Schröfl

Über das beidäugige Sehen; von Thomas Schröfl

Beitragvon Laadoc » Fr 5. Jan 2018, 10:33

Über das beidäugige Sehen

Seit Jahrmillionen bevölkern beidäugig sehende Tiere diese Welt und vor einigen hunderttausend Jahren gesellte sich der Homo sapiens hinzu. Von diesem gibt es seit wenigen hundert Jahren eine Unterart, die sich bisweilen dem monokularen Sehen hingibt, homo astronomicus genannt. In der Nacht und meistens bei Kälte blicken sie, ein Auge zugekniffen, mit dem anderen in das Ende eines mehr oder minder langen gegen den Himmel gerichteten Rohres. Das Ganze nennt sich dann visuelle Astronomie. Lange Zeit gab es technisch bedingt keine andere Möglichkeit als den Nachthimmel so zu beobachten. Erst seit wenigen Jahrzehnten gibt es (astronomische) Ferngläser (Binocular) und binokulare Ansätze (binoviewer) für Fernrohre. Trotzdem macht nur eine kleine Anzahl an Astronomen von der Möglichkeit Gebrauch statt verkrampft mit einem Auge am Okular zu hängen entspannt auch das zweite Auge zum Beobachten zu verwenden. Ich führe das darauf zurück, daß die Physiologie des binokularen Sehens und die daraus zu erzielenden Vorteile bei der astronomischen Beobachtung viel zu wenig bekannt sind. Daneben ist damit aber auch ein entsprechender finanzieller Aufwand verbunden, da zusätzliche Geräte (astronomische Binokulare, binokulare Ansätze), und Okulare immer paarweise, erforderlich sind.
Vor allem amerikanischen Gewohnheiten folgend, darf ich betonen zu keinem Hersteller von Binokularen oder Binoviewern in einer Nahebeziehung zu stehen oder solchen in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein.
Den Anstoß mich mit dem Thema des binokularen Sehens näher zu befassen, gab der kürzliche Erwerb eines 100mm astronomischen ED APO Binokulars mit 45°-Einblick und Wechselokularen (2-linsiger ED (Semi-)Apochromat) und die beim Beobachten in den letzten Wochen gewonnenen Eindrücke. Darüber hinaus benutze ich seit ca. 15 Jahren am Teleskop regelmäßig ein Baader/Zeiss Großfeldbinokular und konnte daher immer wieder Vergleiche zwischen dem binokularen und dem monokularen Sehen am Teleskop anstellen.

Binokulares Sehen läßt sich nicht mit der einfachen mathematischen Formel 1+1=2 beschreiben. Es entspricht vielmehr der Formel 1+1>2. Um wieviel es größer als 2 ist, soll im Folgenden dargestellt werden.
Zunächst eine Definition: unter binokularen Sehen versteht man alle sensorischen und motorischen Aspekte des gemeinsamen Sehens von rechtem und linkem Auge. Demgegenüber bezeichnet man das Sehen mit nur einem Auge oder auch die unabhängig voneinander stattfindende Benutzung mehrerer Augen als monokulares Sehen. Als erste Stufe gilt das Simultansehen, also die gleichzeitige Wahrnehmung der Seheindrücke beider Augen. Die nächste Stufe wird Fusion (visual fusion) genannt und ist die Fähigkeit, die Bilder beider Augen zu einem einzigen Bild zu verschmelzen. Dies ist die Grundlage für die dritte und höchste Form des binokularen Sehens, des räumlichen Sehens (Stereopsis). Diese Formen faßt man auch als Binokularfunktionen zusammen (© Wikipedia).
Die deutsche Fassung von Wikipedia unterschlägt hier leider etwas, was gerade beim astronomischen binokularen Sehen von besonderer Bedeutung ist, nämlich die binokulare Summation (binocular summation). Das Lexikon der Optik definiert dies folgendermaßen:
Summation, Überlagerung von gleichzeitig an mehreren Synapsen (örtliche S.) oder in kurzen Abständen an einer Synapse (zeitliche S.) auftretenden postsynaptischen Potentialen. Wirken mehrere Reize auf den erregenden Teil eines rezeptiven Feldes ein, so reagiert die entsprechende Ganglienzelle mit einer erhöhten Erregung. Bei der Belichtung der hemmenden Teile eines rezeptiven Feldes wird die Aktivität der Ganglienzelle gehemmt. Infolge der örtlichen und zeitlichen S. können einzelne unterschwellige Reize überschwellig werden. Binokulare S. erfolgt bei gleichzeitiger Erregung beider Augen durch Stimuli. Ein binokularer Reiz wird stärker empfunden als ein monokularer.
(© 1999 Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg)
Sehen wir uns nun einmal die Auswirkungen dessen auf das beidäugige Beobachten mit binokularen Geräten, also Ferngläsern, astronomischen Binokularen, Doppelfernrohren und Doppeldobsons näher an.
Die visuelle Fusion der Bilder beider Augen ist für uns so selbstverständlich, daß wir gar nicht näher darüber nachdenken, denn wir sehen einfach nur ein Bild, zusammengesetzt aus den von den beiden Augen kommenden Einzelbildern. Ausgenommen davon sind pathologische Abweichungen wie z.B. das Entstehen von Doppelbildern (Diplopie) beim Schielen.
Doch danach, wenn die beiden Einzelbilder zu einem vereint wurden, kommt es zum Effekt der binokularen Summation, der zwar schon lange in Wissenschaft und Praxis eingehend untersucht wurde, wo aber noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Unter binokularer Summation (im Folgenden BS abgekürzt) versteht man den Vorgang, durch den beim beidäugigen Sehen die Wahrnehmungsschwelle für einen Reiz (Stimulus) niedriger ist als beim einäugigen Sehen. Für den Vergleich zwischen binokularem und monokularem Sehen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine besteht in der neuralen BS, die vorliegt wenn die binokulare Reaktion größer ist als die Summe der Wahrscheinlichkeiten (probability summation) (Näheres dazu unten). Diese setzt die völlige Unabhängigkeit der beiden Augen voraus und sagt ein Verhältnis im Bereich von 9-25% vorher. Binokulare Beeinträchtigung liegt vor, wenn die binokulare Leistungsfähigkeit geringer ist als die monokulare, was voraussetzt, daß ein geschwächtes Auge das Gute beeinträchtigt. Maximale BS liegt vor, wenn die monokulare Empfindlichkeit gleich groß ist, ungleiche monokulare Empfindlichkeit läßt die BS abnehmen.
Erste Versuche die Vorteile des binokularen Sehens zu erklären waren rein quantitativer Natur. Im Versuch konnte gezeigt werden, daß beim binokularen Sehen ein schwaches Lichtsignal – kurze Lichtblitze verschiedener Intensität - um das 1.4fache leichter erkannt werden konnten als beim monokularen Sehen. Die auf diesen Experimenten fußende Theorie wurde „probability summation theory“ genannt. Unter der Annahme, daß die Wahrscheinlichkeiten ein Signal mit dem linken (Pr) oder rechten Auge (Pl) zu sehen unabhängig voneinander sind, kann die Wahrscheinlichkeit des Sehens mit beiden Augen (Pb) vorhergesagt werden. Die Wahrscheinlichkeit läßt sich dann mit Pb = Pr + Pl – (Pr x Pl) definieren. Setzte man die in Versuchen gewonnenen Werte ein, so ergab sich für die Wahrscheinlichkeit ein Wert von ziemlich genau 1.4. Diese Theorie ging davon aus, daß die gestiegene Wahrscheinlichkeit des Sehens mit beiden Augen ausschließlich mit statistischer Summation erklärt werden kann und keine anderen physiologischen Fusionsmechanismen eine Rolle spielen. Anders ausgedrückt: die beiden Augen werden als voneinander unabhängige Detektoren angesehen.


Die zunehmende Wahrscheinlichkeit für das Sehen mit beiden Augen hängt stark von der Helligkeit des Reizes (Stimulus) ab. OD/PhD Dr. Thomas Salmon (OD = doctor of optometry), der eingehende Studien zu diesem Thema angestellt hat, geht von einem willkürlich gewählten Wert einer Wahrscheinlichkeit von 0.6 für jedes Auge aus. Das führt zu einer Gesamtwahrscheinlichkeit für beide Augen von 0.6 + 0.6 – (0.6 x 0.6) = 0.84 was dem 1.4fachen von 0.6 oder dem sooft zitierten √2 „binocular summation factor“ entspricht. Man muß sich dabei im Klaren sein, daß dieser Faktor jeden Wert zwischen 0 und 1 annehmen kann, abhängig davon worauf man blickt. Bei gewöhnlichen Lichtverhältnissen (Tageslicht) wird der Wert 1 sein (1.0 + 1.0 – (1.0 x 1.0) = 1.0). Nur bei schwachen Lichtverhältnissen wird daher die Wahrscheinlichkeit beim binokularen Sehen ansteigen. Bei einer Wahrscheinlichkeit von 0.3 für monokulares Sehen wird die Wahrscheinlichkeit für binokulares Sehen 0.51 oder den Faktor 1.7 betragen (0.3 + 0.3 – (0.3 x 0.3) = 0.51).
Üblicherweise wird in der Wissenschaft bei Experimenten zur Bestimmung des Schwellwertes der Wahrnehmung von einem Wert von 0.5 ausgegangen. Es gibt keinen klar definierten Intensitätswert, der sich als Schwellwert definieren ließe, weshalb willkürlich jener Wert gewählt wurde, bei dem eine 50%ige Wahrscheinlichkeit der Wahrnehmung besteht, was zu einem Faktor von 1.5 im Vergleich zum monokularen Sehen führt (0.5 + 0.5 – (0.5 x 0.5) = 0.75). Der oft auch verwendete Wert √2 oder 1.4 rührt daher, daß die Addition der beiden Öffnungsflächen des Instruments beim binokularen Sehen zu einer monokularen Öffnung führt, deren Durchmesser genau dem 1.4fachen des Durchmessers einer Einzelöffnung beim binokularen Sehen entspricht. Dieser Regel folgend würde mein Binokular mit je 100mm Öffnung einem Refraktor mit einer Öffnung von rd. 140mm entsprechen.
Doch nur mit mathematisch-statistischen Mitteln der Sache beikommen zu wollen, wird ihr nicht vollends gerecht. Das wäre so, wie wenn man Sehen mit dem Aufnehmen desselben Bildes mit 2 getrennten CCD-Cameras vergleichen wollte. Bei höheren Primaten sind die visuellen kortikalen Neuronen binokular miteinander verbunden. Es gibt funktionelle und physikalische Interaktionen zwischen den visuellen Neuronen der beiden Augen, die die Reduktion der BS auf bloße Statistik und Wahrscheinlichkeit als zu eng gefaßt erscheinen lassen. Es gibt verschiedene Bedingungen unter denen der Zuwachs an binokularer Empfindlichkeit größer ist, als er sich mit Wahrscheinlichkeit erklären ließe. Zu einer optimalen Summation kommt es z.B. dann, wenn korrespondierende Stellen der beiden Retinas vom gleichen Objekt stimuliert werden und wenn die Stimuli den beiden Augen gleichzeitig oder zumindest innerhalb von 100msec gesetzt werden. In diesen Fällen wird die Gehirnaktivität mehr gesteigert als es der Summe der beiden Hirnaktivitäten, die von jedem Auge einzeln ausgelöst werden entspricht. Der über dem vorgenannten Wert des Faktors von 1.4 liegende und diesem Mechanismus zugeschriebene Zugewinn wird binocular facilitation (ich konnte hierfür keinen passenden deutschen Fachbegriff finden) oder neurale Summation genannt.
Eine andere wissenschaftliche Erklärung warum die binokulare Summation den Schwellenwert um den Faktor 1.4 herabsetzt, besteht im Argument, daß bei der Kombination des Inputs von 2 Augen die neuralen Signale addiert werden, das neurale Hintergrundrauschen, vorausgesetzt es ist zufällig und unkorreliert, hingegen sich teilweise auslöscht.
Die sooft angesprochene 1.4fache Verbesserung der visuellen Funktion ließe sich mit einer Summation der Wahrscheinlichkeit, einer Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses oder mit neuraler Summation erklären.
Soweit in komprimierter Form der heutige Wissenstand zum binokularen Sehen. Nach letztem Forschungsstand gibt es fünf Erklärungsmodelle, von denen aber keine besonders hervorsticht. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, so existiert z.B. keine einheitliche Methodologie für einschlägige Experimente. Aspekte des Sehens wie die Festlegung des Helligkeitsschwellwertes, der Kontrast oder die Auflösung tragen in verschiedenem Ausmaß zum binokularen Sehen bei. Es ist ein Unterschied, ob es sich um eine Punktquelle oder ein flächiges Objekt handelt. Die beiden Augen sind meistens nicht ident, was zu berücksichtigen wäre. Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, daß die individuellen Unterschiede in der Person so groß sind, daß sich wenn überhaupt ein verbindlicher allgemein gültiger Faktor kaum oder nur sehr schwer festlegen läßt.
Im Bereich der Amateurastronomie wurden diese Erkenntnisse verschieden interpretiert. Im Cloudy Nights Forum „Binoculars“ vertritt Ed Zarenski die Meinung man dürfe beim binokularen Sehen zur Berechnung der vergleichbaren monokularen Öffnung nur die einfache statt der zweifachen Öffnung heranziehen (√(A2 x1.41). statt √(A2 x 2)). Aus dem Faktor 1.41 wird dann 1.19. Diese Ansicht hat dann Phil Harrington in seinem Buch „Cosmic Challenges“ (Harrington, 2011) übernommen. Welche Ansicht richtig ist bleibt dahingestellt.
Wie schon dargelegt hängt die quantitative Bewertung des binokularen Sehens von vielen Parametern und deren Werten ab. Der Faktor 1.41 beruht auf sehr oft zutreffenden Annahmen.
Viel wichtiger aber erscheint die Frage, ob man den binokularen Summationsfaktor so einfach linear auf eine vorausberechnete monokulare Öffnung übertragen kann. Wissenschafter meinen, die Frage habe zu lauten „how much more or better you see with two eyes than with one eye” und nicht „how big should one eye be to replace or be equivalent to two eyes”.
Wir haben als Menschen nun einmal zwei Augen und nicht ein zyklopenartiges großes Auge. Die falsche Fragestellung dürfte in dem Bestreben der Amateure ihre Ursache haben, wissen zu wollen, ob es sich wirklich auszahlt ein Binokular zu erwerben oder ein Binoscope zu bauen oder einfach ein Teleskop mit größerer Öffnung zu erwerben.
Die Conclusio an dieser Stelle ist, daß der binokulare Summationsfaktor nicht einem einzigen und exakten Meßwert zugeordnet werden kann. Arie Otte, dessen Artikel „The Binocular Summation Factor and its relevance for Deepsky Observing” ich hier übersetzt und in verkürzter Form wiedergegeben habe, meint, daß nur ein Vergleich eines großen Binoscope mit einem großen (Mono-)Teleskop einen Ausweg aus diesem Dilemma ermöglicht. Dem widmet sich der im Folgenden dargestellte 2. Teil seiner Abhandlung (http://arieotte-binoscopes.nl/Binocular ... Factor.pdf).
Im 2. Teil seiner Abhandlung faßt Otte die Ergebnisse seines Vergleiches eines 13 Zoll Binodobson mit einem 16 Zoll Dobson zusammen, basierend auf der Formel √(A2 x1.41).
Zunächst nimmt Otte einen Vergleich der jeweils erreichbaren Grenzgröße vor, wobei darauf geachtet wurde, daß die Vergleiche des 2x13 Zoll Binoscope mit dem 16 Zoll Dobson unter identen Bedingungen stattfanden.
Die Ergebnisse von 2 Beobachtungsnächten faßt Otte in folgender Tabelle zusammen:


(©Arie Otte)
Im gleichen Zeitraum haben mehrere erfahrene Beobachter ebenfalls solche Vergleiche mit ähnlichen Ergebnissen angestellt, wobei bei einer Mittelung aller gewonnenen Daten ein Faktor von 1.4 bis 1.5 als sehr gesichert erscheint. Ein Binoscope bringt also einen Zugewinn an Grenzgröße, der einem Teleskop mit 1.4 – 1.5 facher Öffnung bei monokularer Beobachtung entspricht. Der Faktor von 1.19 scheint also offensichtlich zu niedrig angesetzt zu sein.
Viel schwieriger als bei der Grenzgröße ist es den Vorteil binokularen Sehens bei schwachen flächigen Objekten wie Nebeln und Galaxien zu quantifizieren. Alle Beobachter stimmen grundsätzlich überein, daß flächige und schwache Objekte am meisten vom binokularen Sehen profitieren. Sie erscheinen kontrast- und detailreicher. Eine quantitative Bewertung durch Mittelung der von den Beobachtern genannten Werte führt zu einem Faktor von 1.7 gegenüber dem monokularen Sehen. Otte kommt in seiner Abhandlung zu dem Ergebnis, daß zwei nicht vergleichbare Dinge, nämlich zwei Augen mit einem Größeren verglichen werden und somit wie so oft der Vergleich hinkt. Wenn nicht alle berichteten Beobachtungen erfahrener Amateure falsch sind, so kann der vielzitierte Wert von √ (A2 x1.41) = 1.19 nicht richtig sein. Das läßt aber auch die Frage einer quantitativen Bewertung des binokularen Summationsfaktors völlig offen.
Es stellt sich nun die Frage in welchem Verhältnis der binokulare Summationsfaktor zu anderen Faktoren des binokularen Sehens steht. Wäre es nur das gesteigerte Lichtsammelvermögen, so stünde es nicht dafür sich mit einem Binoscope zu befassen und den Besitz eines solchen anzustreben. Das wesentlichste Argument ist das gesteigerte Signal-Rauschverhältnis (signal-to-noise-ratio), das den Eindruck eines dunkleren Himmelshintergrundes vermittelt als die monokulare Beobachtung mit einem entsprechend größerem Gerät. Dadurch werden ausgedehnte schwache Objekte (besser) und detailreicher sichtbar. Hierin liegt auch der charakteristische Vorteil eines Binoscopes gegenüber einem Binoviewer, der ein Signal nur in zwei aufspaltet, weshalb eine Reduzierung des zufälligen Rauschens prinzipiell nicht Platz greifen kann.
Richtiges Stereosehen (Stereopsis) ist auch mit Binokularen wegen der großen Entfernung astronomischer Objekte und somit dem Fehlen einer wahrnehmbaren Parallaxe nicht möglich. Es gibt aber einen Effekt, der Chromosteropsis genannt wird und darauf beruht, daß wegen der verschiedenen Lichtbrechung rotes und blaues Licht an leicht verschiedenen Stellen der Retina in den Fokus kommt. Dieser Effekt ist für jedes Auge different, sodaß rote Sterne etwas näher erscheinen als blaue. Bei einem Binoscope entsteht dadurch der scheinbare Eindruck von Tiefe. Das gilt gleichermaßen für Binoviewer, was ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen kann. Bei der Beobachtung des Mondes gewinnt man den Eindruck in einem Raumschiff über seine Oberfläche zu schweben.
Da ein Binoscope in der Regel eine kürzere Brennweite hat, als ein äquivalentes Einzelteleskop, ist auch das Gesichtsfeld entsprechend größer, was gerade bei flächigen Objekten oft von Vorteil ist.
Schließlich darf auch der reine Komfort des Beobachtens mit beiden Augen statt mit einem ständig zugekniffenen Auge nicht unterschätzt werden. Anhaltendes und konzentriertes Beobachten feiner Details mit zwei Augen ist einfach angenehmer und entspannter als die Anstrengung nur mit einem Auge zu sehen. Auch dieses Argument trifft auf den Binoviewer zu.
Leider wird in der Regel der Zugewinn an Grenzgröße aber überbewertet. Ginge es nur darum, so wäre ein entsprechend großes Gerät in der Anschaffung deutlich billiger als ein Binoscope.

Ich selbst habe wie eingangs erwähnt seit rund 15 Jahren Erfahrungen mit einem binokularen Ansatz (Binoviewer) von Baader/Zeiss und seit rund 2 Monaten mit einem 100mm ED APO Binokular (davor ein 77mm Miyauchi). Den Binoviewer verwende ich vorwiegend am C11 und mitunter auch an einem Takahashi TOA 130 APO Refraktor. Die Aufspaltung des Lichts von 100% für ein Auge auf je 50% für jedes der beiden Augen wird erst bei extrem lichtschwachen Objekten merkbar. Davon abgesehen überwiegt vor allem einmal der Komfortfaktor. Das Beobachten mit beiden Augen ist einfach um Vieles angenehmer. Nicht zu unterschätzen ist der Tiefeneffekt, den der PC zwischen den Ohren aus den beiden Einzelbildern zaubert was besonders bei Mondbeobachtungen zum Tragen kommt. Aber auch alle anderen Objekte wirken einfach plastischer. Um eine verläßliche (subjektive) Aussage über die Detailwahrnehmung machen zu können, wäre ein ständiger Wechsel zwischen Binoviewer und Einzelokular erforderlich, eine Mühe, der ich mich bisher nicht unterzogen habe. Das auch deshalb, weil es mir einfach egal ist. Ich beobachte gerne mit Binoviewer, mir taugt es und „that´s it!“.
Das neue 100mm Bino hat gegenüber dem 77mm Miyauchi das 1.7fache Lichtsammelvermögen. Seit dem Erwerb konnte ich viermal damit unter mondlosem Landhimmel bei guter Transparenz beobachten. Was sofort auffällt, ist der deutlich dunklere Himmelshintergrund gegenüber der monokularen Beobachtung. Ein sehr frappanter Effekt, wenn man am Binocular abwechselnd ein Auge schließt und wieder öffnet. Das verbesserte Signal-Rausch-Verhältnis ist unübersehbar. Längere Zeit habe ich der Beobachtung des Orionnebels mit 24mm (23x) und 12mm (46x) Okularen gewidmet und zum Vergleich immer wieder ein Auge geschlossen. Beidäugig nimmt der Kontrast deutlich zu und gleichzeitig sind die Form des Nebels und Strukturen darin wesentlich besser wahrzunehmen. Auch der running man über dem Orionnebel zeigt Details, wenn auch deutlich schwächer als M42. Ein weiteres Testobjekt war die Andromedagalaxie. Am Teleskop (100/700 bzw. 130/1000 Refraktor) ist wegen der Möglichkeit ein 35mm 2-Zoll Okulare zu verwenden zwar des Gesichtsfeld um knapp 0.5° größer als beim Bino, aber eben nur für ein Auge. Ich habe noch nie mit meinen anderen Geräten wirklich wesentlich mehr als den zentralen Bulge von M31 gesehen. Im 100mm Bino hingegen war der Bulge umgeben von einer riesigen zwar schwachen aber deutlich abgegrenzten Linse. Ein weiterer Test waren die beiden Galaxien M81 und M82. Vor allem in M81 waren trotz der recht niedrigen Vergrößerung klar Strukturen zu sehen. Nicht ganz überzeugt hat mich die Mondbeobachtung. Um wirklich in die Details zu gehen sind Vergrößerungen über dem 100fachen erforderlich, was nicht gerade die Domäne eines kurzbrennweitigen Binoculars ist, dessen Stärke ja in einem niedrig vergrößerten aber großen Gesichtsfeld liegt. Hier würde ich es vorziehen mit dem Binoviewer am C11 oder am 130/1000 Refraktor zu beobachten.
Meine persönliche Conclusio zu diesem Thema: die Anschaffung eines Binoviewers bereits zu Beginn meiner astronomischen Tätigkeit war eine lohnende Investition, die mir viele schöne Beobachtungen ermöglicht hat. Auch das Aufrüsten auf ein 100mm Binocular hat sich bezahlt gemacht, denn die Möglichkeit großflächige Objekte beidäugig in höchster Qualität beobachten zu können, könnte nur mehr durch eine Binoscope mit noch größerer Öffnung getoppt werden. Ich kann daher jedem nur empfehlen einmal in Ruhe mit einem Binoviewer und einem astronomischen Großbinocular zu beobachten und dann für sich zu entscheiden, ob einem die Vorteile den Preis wert sind.
Laadoc
 
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